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Die Führungskraft als Facilitator

Dr. Arlena Jung

Warum gewinnt das Bild einer Führungskraft als Facilitator immer mehr an Bedeutung? Mit der zunehmenden Komplexität von Kundenanforderungen können Firmen sich immer weniger auf herausragende Einzelleistungen stützen. Um qualitativ hochwertige Ergebnisse termingerecht liefern zu können, braucht es die Ressourcen, die Expertise und den kollegialen Zusammenhalt aller Teammitglieder. Firmen brauchen Führungspersonen, welche die Fähigkeit besitzen, Mitarbeiter zu befähigen und ganze Teams zu Hochleistung zu motivieren.
Wie aber gelingt es, ein leistungsorientiertes Miteinander auf Augenhöhe zu etablieren? Welche Haltung, welches Führungsverständnis braucht es? Welche Führungskompetenzen und -instrumente sind erforderlich?

Führen als Facilitator heißt
(Selbst)Wirksamkeit fördern

Seit den 90er Jahren ist eine kontinuierliche Werteverschiebung hin zu mehr Autonomie, mehr Gestaltungs- und mehr Selbstverwirklichungsmöglichkeiten zu beobachten. Ein zentraler Antrieb dabei ist der Wunsch und das Bedürfnis, die eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten kontinuierlich weiter zu entwickeln. Dabei geht es um das Erleben der eigenen (Selbst)wirksamkeit. Mitarbeiter und Angestellte wollen nicht mehr ausführendes Organ sein. Sie wollen mitgestalten und mitentscheiden.

Gleichzeitig scheint aber das Bedürfnis nach einer individuellen Betreuung zu wachsen. Mehr Autonomie und Gestaltungsräume, mitentscheiden und gleichzeitig kontinuierlich betreut und an die Hand genommen werden? Immer wieder höre ich von Führungskräften und Vorgesetzten, beides gleichzeitig zu wollen sei ein Widerspruch. Es sei jedenfalls keine legitime und auch keine erfüllbare Erwartung.

Und was ist meine nicht immer gerne gehörte Erwiederung? Nur mit der Brille der alten Arbeitswelt betrachtet, handelt es sich um einen Widerspruch. In der alten Arbeitswelt bedeutet Selbstständigkeit und Autonomie, die Fähigkeit und Kompetenz Herausforderungen eigenständig zu meistern, Verantwortung alleine zu tragen und Belastungsspitzen aus eigener Kraft zu stemmen. In der heutigen Arbeitswelt geht es um Teamfähigkeit.

Firmen brauchen Mitarbeiter, die die Zusammenarbeit im Team in all ihrer Facetten wollen und auch brauchen. Diese Mitarbeiter schöpfen Energie und Inspiration aus der kollaborativen Zusammenarbeit. Sie wollen gemeinsam neue Ideen, Konzepte und Produkte entwickeln. Sie genießen die gegenseitige Unterstützung im Team und das Feiern gemeinsamer Erfolge. Was sie motiviert und antreibt ist die Erfahrung sich als Team kontinuierlich weiter zu entwickeln und zu verbessern.

Diese Mitarbeiter sind keine Einzelkämpfer. Sie preschen nicht mit Ellbogenmentalität nach vorne und nach oben. Diese Mitarbeiter wollen und brauchen Kollegen und Vorgesetzte, die sie stärken, ihnen Halt, Sicherheit und Orientierung geben. Im tieferen Sinne geht es um ein Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit und Zusammenhalt kombiniert mit der Lust und der Freude an das Erleben der eigenen (Selbst)Wirksamkeit. Und meiner Erfahrung nach ist es just diese Kombination, welche die besondere Energie und Qualität der Zusammenarbeit in Hochleistungsteams charakterisiert.

Es wächst also eine Spezies von Mitarbeitern heran, die mit seinen Strebungen hervorragend dazu geeignet ist, den Herausforderungen der heutigen Arbeitswelt gerecht zu werden – vorausgesetzt, es gelingt ihren Führungskräften, die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies aber ist alles andere als trivial.

Die Führungskraft als Befähiger und Mentor

In einer schnelllebigen, von Leistungsdruck und häufigen Veränderungen geprägten Marktumfeld, ist ein hoher Grad an Resilienz und Agilität erforderlich. Aufgaben, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten ändern sich mit jedem neuen Projekt. Immer wieder bringen unerwartete Entwicklungen Herausforderungen mit sich, für die es keine Standardlösungen gibt. Nur wenn Mitarbeiter eine tiefe Überzeugung haben, sich kontinuierlich verändernden Anforderungen gerecht werden zu können, agieren sie auch bei Belastungsspitzen lösungsorientiert. Nur dann haben sie die Sicherheit, die es braucht, um auch in kritischen Situationen in Verantwortung zu gehen.

Mitarbeiter zu befähigen, bedeutet also sie dabei zu begleiten, ihre fachlichen und methodischen Kompetenzen kontinuierlich zu verbessern. Zu befähigen, bedeutet aber auch Mitarbeiter darin zu stärken, mehr Selbstständigkeit und Autonomie zu erlangen. Anstatt Lösungen für sie zu erarbeiten, ermutigt die Führungskraft sie darin, selbst Lösungen zu entwickeln. Als Befähiger nutzt die Führungskraft ihre Expertise und Erfahrung, die richtigen Fragen zu stellen. Er unterstützt sie darin, immer wieder ihre Prioritäten neu zu sortieren und neu zu setzen.

Als Befähiger unterstütze ich meine Mitarbeiter darin, immer souveräner im Umgang mit sich stets wandelnden Anforderungen umzugehen. Mitarbeiter zu befähigen, bedeutet Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ihnen ermöglichen, ihr Bedürfnis nach Rückhalt, Sicherheit und Orientierung mit ihrem Streben nach Wachstum und Gestaltungsmöglichkeiten in Einklang zu bringen.

Aufmerksamkeitsfokussierung als Führungsinstrument

Engagierte und motivierte Mitarbeiter machen noch kein Hochleistungsteam aus. Entscheidend für die Qualität und Effektivität der Zusammenarbeit ist auch ein hoher Grad an Identifikation mit den übergeordneten Projekt- und Unternehmenszielen. Dies zu sichern, ist auch  die Aufgabe und Verantwortung der Führungskraft.

In der alten Welt haben Führungskräfte durch ein Deldegation, Verordnen und das Einklagen von Arbeitsergebnissen für das Einhalten übergeordneter Ziele gesorgt. In der Rolle eines Facilitators nimmt die Führungkraft diese Aufgabe über Aufmerksamkeitsfokussierung wahr.

Basierend auf ihrer fachlichen Expertise und Erfahrung entscheidet sie immer wieder bewusst und neu, welche Themen, welche Inhalte Aufmerksamkeit brauchen. Wann geht es darum, Raum und Zeit für den Einzelnen mit seinen individuellen Anliegen und Bedürfnissen zu schaffen? Wann geht es darum, übergeordnete Projekt- und Unternehmenszielen zu fokussieren? Wann geht es darum, gemeinsam Qualitätskriterien zu definieren, Konsequenzen zu verdeutlichen und Probleme zu besprechen? Wann soll wiederum die Erarbeitung von Lösungen und das Treffen verbindlicher Vereinbarungen im Fokus stehen?

Aufmerksamkeitsfokussierung als Führungsinstrument zu nutzen, bedeutet nicht zu überzeugen, konkrete Lösungen und Herangehensweisen zu forcieren oder gar vorzuschreiben. Ganz im Gegenteil! Vielmehr spricht sie deutliche Einladungen aus, gemeinsam als Team sich bestimmten Themen zu widmen. Das Team trägt aber gemeinsam die Verantwortung für die Erarbeitung und Umsetzung von tragbaren Lösungen.

Die Kunst des Dialogs – auf Augenhöhe, ergebnisoffen und zielorientiert

Als Facilitator zu führen bedeutet nicht nur konsequent auf ein hierarchisches Durchregieren zu verzichten. Es bedeutet die Bereitschaft und der Wille kontinuierlich daran zu arbeiten, ein stabiles Arbeitsbündnis im Team zu etablieren. Die Verbindlichkeit und Kooperationsbereitschaft eines stabiles Arbeitsbündnisses sind getragen von der Erfahrung in einem kontinuierlichen Dialog eingebunden zu sein. Die Fähigkeit, ein Dialog auf Augenhöhe ergebnisoffen und zielorientiert zu gestalten, ist also für das Führen als Facilitator ein zentrales Handwerkszeug.

Bei Auseinandersetzungen schlüpft die Führungskraft in eine fragende, forschende Haltung. Mit dieser Haltung sorgt sie dafür, dass Meinungsunterschiede als Ressource erlebt werden, dass Auseinandersetzungen nicht auf der Beziehungsebene überschwappen.

Ihr geht es als Facilitator weder darum Differenzen aus dem Weg zu räumen, noch den eigenen Standpunkt zu argumentieren und durchzusetzen oder gar eine Entscheidung entschlossen herbeizuführen. Ihr geht es zunächst einzig und allein darum, zu verstehen: Was ist das Spannende, Wertvolle, Neue an den einzelnen Perspektiven und Sichtweisen? Wie kann dies genutzt werden, um die übergeordneten Ziele zu realisieren oder neue innovative Wege zu gehen? Manchmal geht es auch um das Thema hinter dem Thema: Welches Anliegen will gerade gehört und beachtet werden? Und: Warum bewegt oder beschäftigt gerade dieses Thema jetzt meine Mitarbeiter?

Durch ihre Art der Gesprächsführung spricht die Führungskraft eine klare Einladung und auch Erwartung aus: Inhaltliche Auseinandersetzungen und Diskussionen werden nicht mit dem Ziel geführt, die eigenen Ideen und Vorschläge durchzusetzen. Sie werden stattdessen als eine Gelegenheit wahrgenommen, gemeinsam innovative Ideen zu entwickeln.

Anstatt endloser, polarisierender Grundsatzdebatten mit vielen kleinen Egos, die alle nach Anerkennung schreien, wächst die Bereitschaft, das Interesse und auch die Lust an einem lösungsorientieren, ergebnisoffenen Dialog auf Augenhöhe. Erst nachdem die Sichtweisen erforscht und damit auch gewürdigt sind, wird strukturiert, fokussiert, elaboriert und entschieden.

Bei Entscheidungen verfolgt die Führungskraft in ihrer Rolle als Facilitator einen integrativen Lösungsweg. Ihr geht es darum, Vereinbarungen zu treffen, die allen Anliegen möglichst gerecht werden, zum Verlassen eingetretener Pfade einladen und das Erproben neuer Herangehensweisen ermöglichen. Sie setzt dabei aber weder sich, noch ihre Mitarbeiter den Druck aus, die eine ideale Lösung zu finden. Ihre Art der Gesprächsführung ist getragen von der Überzeugung, dass es für jede Situation mehrere mögliche Lösungen gibt, die zielführend sein können. Jede Entscheidung wird als eine neue Chance auf Erfolg gesehen. Sie wird aber auch als eine Möglichkeit gesehen und gelebt, zu lernen, um im Anschluss neue Wege zu erkunden und auszuprobieren.

Einen Dialog auf Augenhöhe, ergebnisoffen und zielorientiert zu führen, ist eine Frage der Haltung. Es ist aber auch eine Frage der Kommunikationstechniken und Gesprächsformate. Als Facilitator zu führen, bedeutet also auch die Kommunikationstechniken und das Handwerkszeug eines guten Moderators zu beherrschen.

Konfliktfähigkeit als Führungsqualität

Die Führungskraft als Facilitator weiß, dass Teams aus Menschen bestehen und dass, wenn Menschen auf Dauer zusammenleben, arbeiten oder spielen, hin und wieder Differenzen, Spannungen und Befindlichkeiten auftreten. Sie hat keine Scheu, Konflikte zu thematisieren und diese proaktiv zu begegnen.

Sie versteht es aber nicht als ihre Aufgabe, in einer fürsorglichen Haltung den Befindlichkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters gerecht zu werden. Vielmehr spricht sie auch hier durch ihre Haltung und Art der Gesprächsführung eine klare Einladung aus. Was sie sich von ihren Mitarbeitern wünscht und auch erwartet, ist ein lösungsorientierter Umgang mit Differenzen. Durch ihre Art der Gesprächsführung signalisiert sie bei Auseinandersetzungen klar und deutlich, dass alle Teammitglieder gemeinsam die Verantwortung für ein Wohlwollendes und Wertschätzendes Miteinander tragen.

Formate für sich arbeiten lassen

Als Facilitator zu führen braucht die Fähigkeit

• sich auf jeden einzelnen Mitarbeiter einzulassen, ihn zu fördern und zu stärken,
• die Aufmerksamkeit des Teams mit einem feinen Gespür für das Projektgeschehen zu lenken,
• einen ergebnisoffenen, zielorientierten Dialog auf Augenhöhe zu gestalten und
• Konflikte proaktiv zu begegnen.

Als Facilitotar zu führen braucht aber auch die Fähigkeit, Formate für sich arbeiten zu lassen. Sonst ist Überforderung die Konsequenz. Formate für sich arbeiten zu lassen, bedeutet Routinen und Praktiken aus der agilen Welt zu kennen, die es dem Team ermöglichen, sich selbststeuernd

• abzustimmen und zu koordinieren,
• Qualitätskriterien zu definieren und zu sichern,
• verbindliche Vereinbarungen zu treffen und nachzuhalten.

Um diese Formate im Team einzuführen, muss die Führungskraft ein tiefes Verständnis der Prinzipien und Erfolgsfaktoren agiler Tools und Praktiken besitzen. Auf dieser Grundlage kann er entsprechende Formate vorschlagen und sie gemeinsam mit dem Team an den operativen Erfordernissen der Teamarbeit anpassen.

Wertschätzung bedeutet Transparenz

Als Facilitator zu führen, bedeutet jeden einzelnen Mitarbeiter mit einer tiefen Wertschätzung für seine individuelle Fähigkeiten, Kompetenzen, Anliegen und Interessen zu begegnen. Und dies wiederum braucht die Bereitschaft und der Wille zur Transparenz. Transparenz ist nämlich ebenso wie Wertschätzung eine unverzichtbare Voraussetzung für die Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Warum? Transparenz schafft Orientierung, Sicherheit und Vertrauen. Transparenz ist aber auch die Voraussetzung für Teilhabe, Teilhabe die Voraussetzung für „purpose“ und „purpose“ die Voraussetzung für eine von Verbindlichkeit und Kooperationsbereitschaft geprägten Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Nur wenn ich meine eigenen Aufgaben im Kontext sehen kann, bin ich in der Lage eigenverantwortlich und selbststeuernd Prioritäten zu setzen, Zwänge nachvollziehen zu können und Qualitätskriterien zu definieren. Nur wenn für Transparenz aktiv gesorgt wird, werde ich als mitdenkendendes und vernunftbegabtes Wesen behandelt, das ein Recht und ein Bedürfnis hat, die Welt, in der es lebt und arbeitet, verstehen und nachvollziehen zu können.

Auf Augenhöhe zu führen, bedeutet sich also von einem hierarchischen Weltbild zu verabschieden, in dem es allein der Führungskraft obliegt, den Überblick zu haben und zu behalten. Vielmehr verstehe ich es als Teil meiner Führungsaufgabe dafür zu sorgen, dass meine Mitarbeiter sich mit ihren individuellen Aufgaben und Projekten als Teil vom Ganzen sehen und verstehen.

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